Textatelier
BLOG vom: 17.01.2006

Rhetorik: Wie man wirksam gegen die Brandung anspricht

Autor: Walter Hess
 
Kein Buch über die Rhetorik kommt ohne Hinweis auf Demosthenes (384–322 vor unserer Zeitrechnung) aus, der als bedeutendster Redner in ganz Griechenland galt. Ausgerechnet er soll früher mit Sprechproblemen behaftet gewesen sein; er wird sogar als Stotterer bezeichnet. Mit ein paar Jahrhunderten Zeitverzögerung berichtete dann der griechische Schriftsteller Plutarch von den Übungen, die Demosthenes absolviert haben soll: Er machte Sprechübungen mit Kieselsteinen im Mund oder sprach gegen die Meeresbrandung an. Daraus wird dann geschlossen, dass die Kunst der Rhetorik gelernt werden kann – und zwar sowohl in aussprachlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht.
                                                     
Das Reden und das Schreiben sind 2 Paar Schuhe. Und so gibt es oft gute Redner, deren Texte eher schwach sind, oder aber gute Texte werden mangelhaft vorgetragen, weil es dem Redner an einer guten Stimme, an Sprachschulung und schauspielerischem Talent fehlt. Die besten Redner sind jene, die eine gute Stimme haben und ihre Botschaften frisch von der Leber weg mit treffenden Bildern (Metaphern) von sich geben, die Populisten.
 
Aus meiner persönlichen Sicht kommt es mehr auf den Inhalt denn auf die Form an, obschon natürlich das eine das andere nicht ausschliesst und im Idealfall beider zusammentrifft. Doch auch die wirkungsvollsten Gesten vermögen nicht über den fehlenden Inhalt hinwegzutäuschen. Es geht immer um die Erzielung einer Wirkung, um „Die Macht der Sprache“. Genau unter diesem Titel hat der Schweizer Publizist Beat Schaller ein Buch herausgebracht (Signum Wirtschaftsverlag, München und Wien 2005, ISBN 3-85436-368-0). Darin werden verschiedene Werkzeuge angeboten, die eine Rede und zweifellos auch eine Schreibe wirkungsvoll (effektiv) gestalten. Denn es ist bekannt, dass das rhetorische Serienfeuer, das in vielerlei Form ständig auf uns losgelassen wird, in der Regel grösstenteils verpufft, also fast gar nichts hängen bleibt.
 
Eines dieser Werkzeuge ist die Wiederholung (Epizeuxis). Ich wiederhole: die Wiederholung. Die Schlüsselbotschaften sollten immer wieder wiederholt werden, da sie den Erinnerungswert steigern, wie der Autor nachdrücklich betont. Durch die Wiederholung werden Behauptungen zu Beweisen ... Das ist schliesslich auch beim üppigen Medienkonsum und bei der Werbung der Fall: Viele Menschen glauben am Ende den grössten Bocksmist, wenn sie ihn nur oft genug gehört haben.
 
Ins ähnliche Kapitel gehört die Wortverdoppelung: Verdoppelt ist verdoppelt. Persil bleibt Persil.
 
Als Anapher, um ein weiteres Werkzeug aus dem erwähnten Buch zu benennen, bezeichnet man eines oder mehrere Wörter, die zu Beginn aufeinander folgender Satzteile wiederholt werden:
„Sie nicken zum Preis.
Sie nicken zum Service.
Sie nicken ein.“
Das ist, wie man sieht, sehr belebend ... Das Gegenteil davon ist die Epipher, die Wortwiederholung am Satzende nach dem Vorbild von Theodor Storm, der sich diesmal stürmisch gab:
 
„Warum duften die Levkojen so viel schöner bei der Nacht?
Warum brennen deine Lippen so viel röter bei der Nacht?“
 
Das gibt Schliff, und wer dann gleich zur Anadiplose (Wort-Wiederholung als Satzverknüpfung) Zuflucht nimmt, schafft die Bündigkeit in Form eines Scharniers. Dazu ein Beispiel aus der „Rhetorik an Herennius“, dem ältesten erhaltenen Rhetorik-Lehrbuch in lateinischer Sprache:
 
„Dem Africanus verlieh seine Tätigkeit Tugend, seine Tugend Ruhm, sein Ruhm Nebenbuhler.“
 
Oder bei Rainer Maria Rilke („Herbst“):
„Die Blätter fallen, fallen wie von weit.“
 
Die hier verwendeten Zitate stammen nicht aus Reden, sondern aus der Literatur. Das beweist, dass beim Schreiben und Reden zum Teil de gleichen Gesetze gelten. Man könnte ja ein Schriftstück als eine aufgezeichnete Rede bezeichnen – die Übergänge sind fliessend, zumal ja oft auch Zitate aus Reden in Schriftstücke einfliessen.
 
Ein grosses Hindernis beim Reden und Schreiben ist die aus dem Schulunterricht nachwirkende Direktive, ein Wort dürfe nicht wiederholt werden. Dieses Verbot hat viel chaotischen Unsinn angerichtet. Weshalb soll ich denn für ein und dieselbe Sache, die in einem Text mehrmals benannt werden soll, immer wieder einen anderen Ausdruck verwenden. Das würde nur Verwirrung stiften und hat überhaupt nichts mit einer gepflegten Sprache zu tun.
 
Eine Einöde muss dennoch nicht sein. Schaller empfiehlt in seinem Buch die gelegentliche Verwendung von Metaphern, also von einfachen und einprägsamen Bildern. Doch diese Bilder sollten passend und verständlich, niemals aber abgedroschen sein: Die überstrapazierte Metapher „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Fischer“ beginnt allmählich zu stinken wie eine seit Tagen nicht mehr gereinigte Fischverkaufshalle.
 
Die Schlagfertigkeit, das Anpassen an eine bestimmte Situation ist ein gutes Rhetorik-Element. In dem erwähnten Buch mit dem Untertitel „Wie Sie überzeugend wirken“ ist ein überzeugendes Beispiel aufgeführt:
 
Als der Applaus des Publikums nach einem gelungenen Bach-Konzert und nach vielen Vorhängen nicht enden wollte, sagte der sichtlich ermüdete Hans von Bülow: „Meine Damen und Herren, wenn Sie mit dem Beifall nicht endlich aufhören, spiele ich die grosse Fuge noch einmal.“ Das wirkte!
 
Und so will ich dieses Blog mit einem Zirkelschluss, einer so genannten Umrahmung (Inclusio), beenden, einer bildhaften obendrein: Die Werkzeugkiste, um erfolgreich gegen die Meeresbrandung anzureden, ist prall gefüllt.
 
Und vergessen Sie nicht, den Kieselstein noch vor Beginn Ihres Vortrags aus dem Mund zu nehmen.
 
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